Montag, 10. April 2017

#15 26.11.1939


26.11.1939


Liebe Großmutter, Liebe Tante Anne!

Für Eure beiden, so überaus reichhaltigen, guten Nachrichten hätte ich mich eigentlich schon etwas eher bedanken müssen. In der letzten Woche kamen aber mehrere größere Geländeübungen dazwischen und da habe ich, es bis Sonntag hinaus geschoben. Wir hingen noch immer in unserem Städtchen. Gestern machten wir wieder einen 50 km Marsch mit Geländeübung. Als wir so stundenlang auf einer freien Fläche dem Winde ausgesetzt standen, lief uns plötzlich ein Hase in die Quere. Alles schoss mit großem Hallo darauf los. Das sah gerade die Battallion höher und ordnete für die Kompanie bis auf weiteres Ausgangsverbot an. (Den Hasen haben wir trotzdem nicht gekriegt). Nun sitzen wir, Gott sei dank bei scheußlichem Wetter, in unserer Bude und vertreiben uns den Sonntag. Heute morgen wurde bis zum Mittag gepennt und dadurch das Frühstück eingespart, eben Karten gespielt und jetzt habe ich noch allerhand zu schreiben und einen Roman zu lesen. Gestern stellte ich übrigens eine tolle Sache fest. Seit einigen Tagen haben wir einen neuen Leutnant als Truppenführer aus Osnabrück bekommen. Er hat dort auch gedient. Nun hörte ich nämlich, dass wir von dem Osnabrücker Regiment und zwar einen Zug unter Leutnant Nausch  abgelöst hätten. Das konnte ja wohl nur mein alter Freund Georg sein, der damals nach Kiel umzog, als wir nach Osterholz kamen. Als ich unseren Leutnant fragte, ob er den kenne, sagte er, dass Nausch früher bei ihnen in der Riedenstraße oben im Haus gewohnt hätten. Ich erinnere mich jetzt, dass wir früher unten im Nausch`schen Hause einen älteren Kameraden, von Namen Rüdiger hatten und das ist unser Leutnant Schache der befreundet ist mit Heinz Docht, der mit Kolsters in Osterholz verwandt ist. Die Welt ist doch klein! Das „Wiedersehen“ machte uns beiden ungeheuren Spaß und wir wollen gelegentlich mal wieder mit Georg Nausch in Verbindung treten und alte Erinnerungen wieder auffrischen. Nehmt mir bitte nicht übel, wenn ich Euch darauf hinweise, dass es zwar gut gemeint, aber für mich hätte böse Folgen haben können, als ihr beide schriebt, von mir Ansichtskarten aus einer bestimmten Stadt erhalten zu haben. Es ist man gut, dass es nicht heraus gekommen ist. Kurt hat den selben Bock sogar auf offener Karte geschossen. Wofür ich ihm schon tüchtig eins ausgewischt habe. So schlimm ist es aber wohl nicht mehr mit der Geheimhaltung der Standorte, denn schon sehr viele Offiziere haben ihre Frauen hier und denen müssen sie ja auch geschrieben haben, wo wir hingehen. Allmählich fängt unser Regiment jetzt auch mit Beurlaubungen an, aber vor Verheirateten muss sich als junger Unteroffizier vorerst noch zurücktreten und habe bei der jetzigen Regelung wohl noch ein viertel Jahr Zeit! Wenn Tante Anne bis abends bei Verdunklung durch die Straßen gehen würde, wäre sie sicher auch schon oft einem Landser unter die Arme gefallen, das kommt des öfteren vor! Übrigens doch ein Kompliment, dass man sie noch für 20 Jahre jung gehalten hat! Mit unendlicher Freude erfüllte uns die Aufdeckung des Münchner Attentats! Unter Rudolph Meyer hatte ich mir so was Ähnliches vorgestellt. Besten Dank für die näheren Angaben! Die [...]sammelstelle ist fortgefallen. Man erzählt sich hier, die Osnabrücker seien wieder daheim. Stimmt das? Für uns kommt das vorläufig wohl noch nicht in Frage. Es freut mich sehr, dass sich Großmutter so gut wieder eingelebt hat. Auf dem schönen Papier lässt es sich mit dem reparierten Füllhalter vortrefflich schreiben. Hier in der Stadt sah ich übrigens auch den Film von der Edelsteinschleiferei, ich glaube in Verbindung mit „Es war eine rauschende Ballnacht!“
Besonders musikalisch gefiel mir dieser Film ausgezeichnet. Am selben Tage hatten wir uns dieses Handwerk persönlich angesehen. Die Einwohner lachten, als sie so viele Bekannte auf der Leinwand sahen. Jetzt leben wir weiter in den Tag hinein und es gefällt uns immer noch recht gut. Ob wir auch wohl Weihnachten noch hier feiern?! Von Onkel Carlfried habe ich auch noch keine Nachricht, er hat auch wohl zu wenig Zeit. Erikas Zeugnis finde ich auch ganz ordentlich, nach Kurts Meinung hat sie den 5.-6. Klassenplatz. Von den täglichen politischen Ereignissen können wir durch Zeitungen in der Kaserne und Wochenschau im Rundfunk in der Stadt viel mitkriegen. Hoffentlich kommt ihr beiden weiterhin gut aus und geht es euch gesundheitlich recht befriedigend. Ich habe mir bei dem scheußlichen Wetter in den letzten Tagen eine Erkältung zugezogen. In der Kaserne ist es dann immer so warm, besonders wenn die Fenster dicht verhängt sind. Bald wird es aber wohl wieder vorüber sein.
Mit herzlichen Grüßen bin ich Euer Enkel und Neffe,

Reinhard

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

#40 21.06.1940

Liebe Großmutter, liebe Tante Anne! Wir erfreut war ich, von Euch schon wieder so ein leckeres Paket mit einem lieben Brief zu erhalten. ...