Viel neues ist ja begreiflicherweise in den letzten Tagen in unserem Dorf nicht passiert. Trotzdem möchte ich mich herzlichst bei Dir liebe Großmutter, für deinen langen, freundlichen Brief bedanken.
Nun steuern wir langsam auf das Jahresende zu. Man merkt nicht viel davon und da hier im Operationsgebiet bereits um ein Uhr Polizeistunde festgelegt ist und wir zur Mitternachtsstunde einen Bataillonsappell haben werden, wird die Angelegenheit für uns auch nicht so feierlich werden. Heute bekam jeder Mann wieder eine Flasche Wein zugeteilt, die wird wohl bei gemeinsamen Zusammensein vertrunken werden. Von Kolsters in Osterholz erhielt ich gestern noch ein nettes Weihnachtspaket mit allerlei Süßigkeiten, Likör, Weihnachtsherzen und Zahn- und Hautcreme. Es ist überhaupt unbeschreiblich in wie überaus netter Weise die Heimat unserer gedacht hat. Unzählige Pakete und Glückwünsche trafen zum Fest ein! Wohl noch nie war in der Geschichte die Zusammenarbeit zwischen Euch und uns so stark und und wenn diese weiter so durchgeführt wird dürfen wir voll Hoffnung in die Zukunft blicken und den endgültigen Sieg über das Falsche und Böse erwarten! Bei uns herrscht jetzt schneidende Kälte. Da ich am Fenster schlafe, musste ich mir in der letzten Nacht auch einen Mantel anziehen, sonst wäre ich kaputt gegangen. Es war heute Morgen 20 Grad unter Null. Da ist die Arbeit draußen wirklich kein Vergnügen, der Boden ist steinhart, die Wasserleitung auch bald zugefroren. Eine starke Erkältung ist da auch unausbleiblich, geht aber hoffentlich bald vorüber. Ich habe sie jetzt schon seit einer Woche. Eben war ich in der Schule, dem einzigen schönen Haus im Ort, zum Duschen. Zum Glück war warmes Wasser in der Leitung und es wurde zu einem wahren Genuss. Am Neujahrstag gedenke ich nach Oberstein zu fahren, am 2. Festtag kam ich wegen Autopanne nicht dazu. Mit riesigen Jubel hörten wir gestern von der Aufstellung über unsere geringen und der Feindmächte starke Verluste zu See und Luft. Wenn der einzelne Erfolg auch bei Englands gewaltiger Macht nicht viel Ausmacht, die ewigen Schläge müssen doch einst zur Vernichtung führen. Du brauchst Dir um unseren Aufenthaltsort sonst keine Sorge zu machen, wir haben uns nett eingelebt und müssen uns wohl damit abfinden, dass wir noch die grimmigste Winterhälfte hier aushalten. es ist immer noch günstiger, als vorn im Schützenloch zu liegen, womit nicht gesagt sein soll, dass wir uns [nicht] alle danach sehnen den Feind mal wieder direkt gegenüber liegen zu können und ihnen anständige Schläge zu versetzen trachten. Dazu wird es aber noch beizeiten kommen. Ich habe zum Schreiben wieder nicht die nötige Ruhe, man muss sich wegen der Kälte dazu immer in die Küche "zurückziehen", wo den ganzen Tag Krach herrscht. Ich hoffe trotzdem, dass ich Euch mit meinem Brief eine kleine Freude mache und das ihr ihn so auffasst, wie er gemeint ist, ein kleiner bescheidender Dank für Großmutters lieben, langen Brief. Hoffentlich seid ihr mit Onkel Carlfried gut ins neue Jahr hinein gekommen, wenn Euch mein Gruß erreicht. Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute und bin in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen,
Euer Reinhard.
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