Liebe Großmutter, liebe Tante Anne!
Nun muss ich Euch doch wohl mal wieder schreiben! Heute habe ich auch mal ausnahmsweise Zeit dazu, denn der Wochenausklang enthält diesmal nur kleinen Dienst, auf den ich mich nicht vorzubereiten brauche. Einen so langen, schön geschriebenen Brief, wie er mir gestern von Großmutter zuging, kann ich mir nun nicht leisten, ich will aber doch versuchen, bei der großen Hitze etwas zustande zu bringen. Der Dienst war sehr anstrengend in der Woche und wir freuen uns mal wieder auf das Wochenende und auch auf den 9. August, wenn das hier ein Ende hat. So den ganzen Tag im Dreck sitzen ist doch keine Kleinigkeit! Heute früh verdufteten wir uns mit dem Oberleutnant in die Badeanstalt, anstatt ins Gelände bei der Kaserne. Gestern Nacht fuhren wir mit Autos noch raus nach Göberitz, wo uns ein nächtliches Schießen aller Infanteriewaffen gezeigt wurde. Sehr interessant! Heute früh ging's dann aber schon wieder um 05:10 Uhr raus. Vorher wurde uns gestern die neue
Wochenschau im Festsaal gezeigt. Hoffentlich wird das weiter jede Woche gemacht. Sie ist doch hochinteressant und in Potsdam und Berlin geht man doch schwerlich ins Kino. Überhaupt, die Einrichtungen sind hier fabelhaft und der Dienst rollt ab, wie am Schnürchen, ist eben nur zu ausgedehnt und manchmal sehr anstrengend. Der Oberleutnant hat schon Verschiedenen das Genick gebrochen oder dies angedroht. Ich bin noch nicht mit ihm zusammengerasselt und dränge mich auch nicht so vor, das ist das Beste! Wir geben uns natürlich alle Mühe, den Anforderungen gerecht zu werden, überhaupt wo uns nach bestandenen Kursus der
Degen winkt. Die Ausbildung ist auch ganz ausgezeichnet und ein fabelhafter Überblick über den gesamten Infanteriedienst. Hoffen wir nur alle, dass dem redlichen Bemühen auch der Lohn beschieden ist. Als aktiver Offiziersanwärter werde ich möglicherweise doch nicht lange in Danzig bleiben, sondern bald an die Front kommen. Das würde ich, trotz der Vorzüge dort, doch sehr begrüßen. Vielleicht ist in zwei Monaten, nach dem heutigen
Einmarsch in Paris, der kaum glaublich scheint, auch alles zu Ende. Frankreich ist nach unserer aller Meinung dann bestimmt am Boden. Ob England sich dann, unter dem Druck
Italiens, noch lange halten wird? In Gedanken erleben wir hier schon die Siegesparade an der
Ost-West Achse! Wir werden bestraft, wenn wir uns an die Front von hier wegmelden, oder werden sofort rausgeschmissen. Die Verwechslung der Briefe war ja nun nicht so schlimm, wie auch Mutti schrieb. Nachdem ich die letzte Woche nun wieder voll Dienstfähig bin, werden mir aus den 1 1/2 Wochen Krankheit wohl kaum große Nachteile für die Beurteilung entstehen. Das wäre doch auch gemein. Ein Kamerad aus der H.J. (Hitlerjugend) in Scharmbeck ist in der 14. Inspektion.
Wieso wird uns der "gedeckte Tisch mit zugedachten Genüssen" vorgesetzt. Das verstehe ich nicht. Zum Spaziergang in den nahen Park müsste man sich immer erst umziehen und meist ist auch schriftliche Arbeit da. Nur der Mittwochabend ist an sich ab 18:30 Uhr frei. Am letzten waren wir geschlossen im Restaurant "Historische Mühle". Sonst ist das ziemlich leere Theorie. Dagegen ist eine kalte Dusche vor dem Zubettgehen ganz angebracht. Ich dachte, unsere Ausbildung wäre Euch schon ziemlich klar, nach meiner Schilderung. Da es Euch aber so interessiert, will ich nochmal die Tageseinteilung beschreiben. Nach gemeinsamen Morgenkaffee um 06:00 Uhr fahren wir zur Geländeausbildung und zum Gefechtsdienst auf den ca. 15km entfernten Truppenübungsplatz, oder führen dieselbe Ausbildung auf dem Übungsgelände hinter der Kaserne durch. Am Nachmittage ist dann meist Unterricht über Taktik, Exerzieren, Sport, Waffenausbildung oder Unterricht über den angehenden Offizier interessierende Fragen. Der zuletzt erwähnte Dienst in der Schule ist manchmal auch Morgens und dann geht's zum Scharfschießen nach Göberitz. Die zwei Züge der Inspektion haben im Wechsel immer gleichen Dienst. "Hoch genommen" wird man im Gelände, besonders bei unserem Oberleutnant, jedenfalls mehr, als beim Sport, der sich eigentlich nur auf Spiele und Austoben ausdehnt. Als zum Leutnant befähigte Männer sollen wir in zwei Monaten hier entlassen werden. Auf die Teilnahme am Kursus hier wird man auch später immer zurückgreifen. Von hier gehen die Papiere direkt zum Oberkommando der Heeres.
Amerika wird doch wohl kaum eingreifen! Für den leckeren Pumpernickel hatte ich doch die schöne Wurst von Schumachers als Aufstrich, das war immer eine willkommene Zwischenmahlzeit, ohne die man kaum auskommt. Marmelade habe ich von Osterholz noch nicht erbeten. Für Kuchenkarten und Zeitungsausschnitte natürlich auch herzlichen Dank. Nun brauche ich damit nicht mehr zu knausern, den
Stammabschnitt brauchte ich gar nicht. Von Onkel Carl erhielt ich auch eine nette Karte. Vielleicht entschuldigt Ihr mich bei ihm, und Tante Tilde, dass ich nicht so schnell antworte aus erwähnten Gründen. Sonntag will ich, trotz der Bullenhitze, wieder nach Berlin, um die schöne, interessante Stadt kennen zu lernen. Nun aber Schluss und zu Bett!
Viele herzliche Grüße, stets Euer Reinhard
Wollt ihr das beiliegende Passbild sehr gern behalten? Ich finde es sehr gut. Ich musste es für den Oberleutnant, im Photoatelier der Hohenzollernfamilie, machen lassen.