Samstag, 29. April 2017

#30 02.03.1940

Liebe Großmutter, liebe Tante Anne!

Nun wird es aber wirklich bald Zeit, dass ich wieder etwas von mir hören lasse und mich für Großmutters lieben Brief vom 19. bedanke. Sicher habt ihr lange auf Nachricht gewartet ?! Durch die abendliche Skatspielerei, durch den langen Weg zum Dienst, der meist sehr ausgedehnt ist, bin ich in den letzten Tagen leider wenig zum Schreiben gekommen. Zum Lesen hat es meist auch nicht gereicht. Die beifolgenden "Auslese"-Hefte habe ich ja nun glücklich hinter mich gebracht. Nun habe ich von Tante Marie ter Meulen noch Lesestoff bekommen, so dass ich fürs Erste mal überreichlich genug habe. Ohne also im Geringsten sagen zu wollen, dass mir die "Auslese" nicht ausgezeichnet gefiele, möchte ich bitten, mit der Übersendung der Hefte ab September, wenn sie nicht schon abgesandt sind, noch einige Zeit zu warten. Wenn wir mal hier weg kommen ist man in einsameren Gegenden sicher froh, mal wieder was zu haben. In den letzten Wochen ist eigentlich wenig erwähnenswertes passiert. Am letzten Sonntag wurden wir durch die Operettensänger und -Tänzer des Bielefelder Theaters mit einem bunten Nachmittag erfreut, am Montag war hier im Dorf schon wieder Varieté! Das Wetter wechselt jetzt ständig zwischen Frost und Tau. Heute ist nun gerade wieder herrlich klares Wetter, nur gestört durch schneidenden Ostwind. In deinem lieben Brief, liebe Großmutter, sprichst Du ja reichlich optimistisch vom Urlaub. Es war ja auch schon mal soweit, dass ich meinte, Mitte Februar unter Euch sein zu können. Aber nun hat sich das leider doch wieder etwas verzögert. Ich kann Euch nachfühlen, dass es Euch schwer fällt, immer wieder hingehalten zu werden. Aber das lässt sich nun mal nicht ändern und der Kompanieführer vertritt die an sich gesunde Ansicht, dass eben erst ein Gleichgewicht zu den Mannschaften, die noch zu einem Drittel fahren müssen, hergestellt werden soll. In meiner Ruhestellung gefällt es mir auch so gut und einmal kommt doch der Tag des Wiedersehens. Förster ist bestimmt auch ein schöner Beruf, wenn man erst sein eigenes Revier hat. Unser alter Herr sagt, wenn er noch zwanzig Mal geboren würde, möchte er noch 25 Mal Förster werden. In den letzten Tagen hatten wir wieder mal eine leckere Wildschweinleber zum Abendessen, der Rest des Wildbrets ging weiter zum Jagdpächter. Das in Pflege genommene Hirschkalb ging trotzdem im Stall ein. Wenig zur Freude des Försters üben wir fast jeden Morgen in seinem Revier und Knallen da herum. Neulich beschossen wir sogar mit Platzpatronen vom Bodenfenster aus die Kameraden. Der Schießstand ist auch gerade hinter meinem Quartier, zum Frühstück verduftete ich mich nach Hause. Mit seiner Wohnungssuche wird Onkel C.F. doch jetzt hoffentlich im Reinen sein? Ich will ihm gleich mal wieder schreiben. Mit Erkältung habe ich seit meinem hiesigen Aufenthalt zum Glück nichts zu tun gehabt. Die Osterholzer scheinen ja sich in den letzten Tagen böse gegenseitig angesteckt zu haben. Ihr seid hoffentlich ganz auf dem Damm? So etwas von Winter hat die Welt ja auch noch nicht erlebt! Heute sollen wir hier im Keller zum ersten Male baden. Die Försterstochter macht uns gerade die Bütte zurecht. In unserem lang entbehrten Genuß werden wir hoffentlich nicht durch den Spieß mit seiner Unteroffizierparade, die er immer gerade in die unpassendsten Zeiten legt, gestört. Zu Vorsicht haben wir aber diesmal Urlaub zu unserem vorherigen Quartierort eingereicht und da wird man uns ja wohl in Ruhe lassen müssen. Im übrigen hört ihr sicher das wichtigste von mir über Osterholz! Ich habe heute wieder Großschreibtag und vorläufig schon mal wieder genug. Ich will also hoffen, dass ich euch mit meinen Zeilen recht erfreue und verbleibe mit vielen herzlichen Grüßen

Euer Reinhard

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#40 21.06.1940

Liebe Großmutter, liebe Tante Anne! Wir erfreut war ich, von Euch schon wieder so ein leckeres Paket mit einem lieben Brief zu erhalten. ...